Soziale Netzwerke: Segen oder Fluch für die TuningSzene?
Eins gleich vorweg: Das World Wide Web als solches hat sehr viele positive Effekte für unsere Subkultur. In den Neunzigern lief so ziemlich alles über Flyer, Magazine und Mund-zu-Mund-Propaganda. Heute hat die digitale Vernetzung wohl den größten Stellenwert, wenn es darum geht, Informationen innerhalb der Szene auszutauschen. Schrauber-Foren, Online-Shops, Online-Magazine...die Liste der Errungenschaften, die es ohne das Internet nicht gäbe, ist lang. Und natürlich kann sich die Szene auch nicht dem Phänomen „Social Media“ entziehen. Doch diese Medaille hat zwei Seiten...
Reizüberflutung
Im 21sten Jahrhundert stellt es kein Problem mehr dar, sich Informationen zu beschaffen. Das World Wide Web hält bei Bedarf alles parat. Die sozialen Netzwerke spielen dabei natürlich auch eine Rolle. Allerdings versorgen uns „Facebook & Co“ auch mit Infos, wenn wir diese gerade gar nicht benötigen.
Immer und überall wird man mit Bildern, Videos, Event-Einladungen, Seiten-Vorschlägen und Propaganda bombardiert. Man hat sich irgendwie daran gewöhnt. Jeder folgt Unmengen an Facebook-Seiten und ist mit zahllosen Leuten „befreundet“. Hin und wieder heißt es zwar bei den meisten Usern „Ausmisten“, aber nach wenigen Wochen hat man wieder so vielen neuen Dingen ein „Gefällt mir“ geschenkt und eine derartige Anzahl neuer Freundschaftsanfragen akzeptiert, dass der frisch gewonnene Überblick wieder gänzlich verschwunden ist.
Die Reizüberflutung ist so immens, dass vielen wohl nicht mal auffallen würde, wenn eine ihrer Lieblings-Facebook-Seiten plötzlich verschwunden wäre. Man wird schließlich dermaßen zugemüllt, dass man sowieso nicht alles bewußt registrieren kann. Und das Schlimme ist: Es scheint momentan quasi keinen Ausweg zu geben. Auch der Schreiber dieser Zeilen bombardiert seine Umwelt über zahlreiche Kanäle täglich mit Content. Und wird selbst tagtäglich selbst bombardiert...
„Die Halbwertszeit von ALLEM und JEDEM leidet unter den sozialen Netzwerken.”
Wer die Reizüberflutung als solche nicht als negativ wahrnimmt, sollte eines bedenken: Wenn man einen bestimmten Wagen schon 100.000 mal im Netz betrachtet hat, ihn aus jedem Winkel und mit jedem Kameramodell fotografiert bestaunen durfte, ist man auf Events recht schnell auf dem „Langweilig, kenn’ ich alles schon“-Trip. Fahrzeuge, die einem eigentlich vom Hocker hauen würden, werden öde, obwohl es bei genauerer Betrachtung vielleicht unzählige Details zu entdecken gäbe. Ein geiler Wagen ist vielleicht erst seit 4 Wochen fertiggestellt und unterwegs, aber da man ihn mittlerweile 20 mal auf Facebook betrachtet hat, ist er quasi schon „out“, bevor man ihn das erste Mal live erleben darf. Die Halbwertszeit von ALLEM und JEDEM leidet unter den sozialen Netzwerken.
Shitstorm voraus!
Man konnte ja schon immer in allgemeine Ungnade fallen und sich einem umfassenden negativen Echo ausgesetzt sehen. Durch soziale Netzwerke sind sowohl Qualität als auch Quantität dieser Erscheinung, die heute neudeutsch als „Shitstorm“ bezeichnet wird, jedoch massiv gestiegen. Oft trifft das geballte Negativ-Echo die Richtigen. Vielleicht auch genauso oft die Falschen. Der digitale Rufmord läßt sich nur schwer rückgängig machen, wenn eine Person, eine Firma oder ein Event erst mal vor den Augen der User massiv niedergemacht wurde. Zweifelsohne eine Schattenseite des Facebookzeitalters. Von den mehr als günstigen Bedingungen für Hatern & Hype mal ganz zu schweigen. Wobei manche ihren eigenen Hype konstruieren, indem sie sich dank dubios "organisierter" Like-Zahlen größer machen, als sie eigentlich sind. Ob das im Sinne der Szenegänger ist, ist und bleibt fraglich...
Abhängig von Zuckerberg
Da heute so viel über Facebook abgewickelt wird, drängt sich natürlich eine Frage auf: Was passiert, wenn Facebook mal nicht mehr da ist? Oder zumindest nicht mehr in dieser Form? Wer denkt, dass so etwas unmöglich ist, sollte kurz in sich gehen und über das Schicksal von Napster, wer-kennt-wen, StudiVZ und wie sie alle heißen nachdenken.
Klar, Facebook ist ein Phänomen und auf jeden Fall hartnäckiger als andere digitale 08/15-Trends. Doch ein Datenschutzskandälchen zuviel und schon könnte eine Abmelde-Welle sondergleichen ihren Anfang nehmen. Und dann würden zweifelsohne sehr viele Strukturen in sich zusammenbrechen. Schon heute ist viel zu viel von der blauen Datenkrake abhängig. Die meisten stecken mehr Arbeit in ihre Facebook-Page als in ihre Website. Und mal ehrlich: Wäre Facebook morgen weg, könnten die meisten (dann Ex-) User nicht mal zu der Hälfte ihrer digitalen Freunde Kontakt aufnehmen. Wer nicht darum bemüht ist, Alternativen zu erhalten, wird unter Umständen irgendwann Probleme bekommen.
Wachstum und Reichweite
Doch das Facebook-Zeitalter hat auch positive Begeleiterscheinungen. Die Internationalität der Tuning-Szene wird nicht zuletzt durch die Interaktion in den sozialen Netzwerken gestärkt. Letztlich stellen höchstens Sprachbarrieren die Grenzen der Tuning-Szene im World Wide Web dar. Das ist etwas, was der auf Vielfalt getrimmten Szene nur gut tun kann.
Außerdem helfen Facebook & Co auch bei der „Nachwuchsförderung“. Schließlich nennt nicht jeder Tuning-Enthusiast mit Facebook-Profil ausschließlich digitale „Autofreunde“ sein Eigen. Dadurch kommen auch „Outsider“ mit tuning-affinen Inhalten in Berührung und werden so vielleicht auch vom Virus gepackt.
Tuning-Szene digital
Der größte Vorteil, gerade bei Facebook, ist natürlich der, dass man sich als Tuning-Enthusiast eine Vernetzung aufbauen kann, bei der einem wirklich nichts mehr entgeht. Showcars, Shitstorms und Skandale: Man muss nicht erst nach News suchen, man bekommt stets alles geliefert. Event-Einladungen füllen den Terminkalender und wenn man doch mal etwas verpasst, werden Videos und Bilder in Hülle und Fülle nachgereicht. Man muss sich auch gar nicht bemühen. Früher oder später landet alles auf dem Display. Genau deswegen sind wir doch alle bei Facebook, oder? Um nichts zu verpassen.
Schon lange sind die Facebook-Fanseiten dabei nicht mehr für Szene-Größen und Firmen reserviert. Unmengen an Showcars präsentieren sich auf ihrer eigenen Seite und sammeln, genauso wie unzählige Szene-Events, Fans. Allen negativen Aspekten zum Trotz: Die sozialen Netzwerke machen vieles sehr viel einfacher.
Fazit
Man kann geteilter Meinung sein, ob Facebook & Co nun ein Segen oder ein Fluch für unsere Subkultur sind. Wenn man sich jedoch stets aller Risiken bewußt ist und einigermaßen verantwortungsbewußt mit den sozialen Netzwerken umgeht, sind sie durchaus eine Bereicherung für die Tuning-Szene. Man sollte sich jedoch alle alternativen Kommunikations- und Informationsflussmöglichkeiten bewahren. Und natürlich eines nicht vergessen: Der Tuning-Lifestyle sollte im „echten“ Leben zelebriert werden und nicht nur im World Wide Web...